Lars-Broder Keil hatte 2009 in der WELT einen Eintrag zum Honecker-Rücktritt 1989 geschrieben. Wenn man ein paar Namen und Daten ändert, paßt alles für den kommenden Monat, entsteht ein Szenario der Hoffnung, in welchem sich eine Neuwahl oder ein Groko-Siechenhaus mit Merkel als Schwarzer Witwe vermeiden ließe:
„Angela, es geht nicht mehr. Du musst gehen.” Am 20. Februar 2018 wurde Angela Merkel zum Rücktritt gezwungen. Doch auch ihre Auswechslung als Parteivorsitzende konnte das Ende ihrer Kanzlerschaft nicht mehr verhindern.
Pünktlich um zehn Uhr sitzen die Mitglieder des CDU-Bundesvorstands – eine Art SED-Politbüro – fast vollzählig im Sitzungssaal. Der Platz von Kulturstaatssekretärin Grütters ist leer, sie reist mit einem schwulen Berliner Ballettensemble durch Somalias Hinterland und anschließend noch nach Afghanistan. Unter dem Label “Hilfe zur Selbsthilfe”. Auch Angela Merkel fehlt noch.
Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise kommt die CDU-Chefin nicht zu spät. Gegen 10.10 Uhr betritt Dr. Merkel an diesem Dienstag, dem 20. Februar 2018, schließlich den Saal. Sie scheint gut gelaunt. „Entschuldigt Parteifreunde“, sagt sie, „Friedrich Merz hat gerade angerufen. Er will auf mich zukommen. Wir wollen miteinander reden.“ Jens Spahn zuckt zusammen. Merz, ehemaliger Fraktionschef, ist einer der wenigen außerhalb des Bundesvorstands, der eingeweiht ist, was in den nächsten Augenblicken passieren soll. Hat Merz etwas verraten? Spielt er sein eigenes Spiel?
Doch Merkel beginnt wie immer die Runde im Machtzentrum der CDU und fragt, ob es noch Vorschläge zur Tagesordnung gibt. Thomas de Maiziere meldet sich zu Wort. Betont sachlich stellt der Minister den Antrag, Merkel von ihrer Funktion zu entbinden: „Angela, es geht nicht mehr. Du musst gehen.“ Schweigen. Das von Hängebacken gezeichnete Gesicht der Kanzlerin wirkt auf einmal noch aufgedunsener. Doch sie fängt sich und sagt: „Gut, beginnen wir mit der Aussprache.“
Jens Spahn schaut die Kanzlerin an. Was mag jetzt in ihrem Kopf vorgehen? Mit fast den gleichen Worten hatte Merkel 18 Jahre zuvor Helmut Kohl zum Rücktritt gezwungen. Spahn selbst geht noch einmal im Schnelldurchlauf die vergangenen Tage durch.
Hektische Tage, in denen er – weitgehend konspirativ – den Sturz seiner Parteivorsitzenden vorbereitet hat. Weil nur noch destruktiver Starrsinn das Handeln der Parteichefin diktiert. Weil Washington, Moskau, London, Warschau, Wien, Rom und Budapest deutlich auf Distanz zu Merkel gehen. Weil der Rückhalt in der Partei bis hin zum Fußvolk bedrohlich abnimmt.
Nach der Bundestagswahl 2017 blendete die 64-jährige Merkel noch stärker die Wirklichkeit aus: die Massenankünfte, das Erstarken der Opposition, die Bereitschaft der Bürger, auf die Straße zu gehen. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf den Familiennachzug der MUFLs ausgerichtet, den sie mit fast kindlicher Freude genoss. Ihr Parteivorstand ließ sie gewähren. Denn den Familiennachzug sah Merkel nicht nur als Sternstunde ihres Staates sondern auch als das Ergebnis ihrer Karriere.
Die einstige Physikerin aus der Uckermark hatte in der Jugendorganisation FDJ agitiert und als ihr Gesellenstück war sie 1998 Generalsekretärin der CDU geworden. Das Meisterstück gelang ihr zwei Jahre später mit dem Komplott gegen Kohl.
Alle Anwesenden ergreifen das Wort, doch keiner nimmt Merkel in Schutz. Für fast jeden aktuellen Missstand wird sie verantwortlich gemacht, es hat ja fast nie kollektive Entscheidungen gegeben. Beim Atomausstieg nicht, bei der “Bankenrettung” nicht und bei der Grenzöffnung auch nicht.
Innenminister de Maiziere spricht von einer „sehr, sehr ernsten Lage“. Selbst Merkels engster Vertrauter Volker Kauder stellt ungerührt fest, die Vorsitzende habe das Vertrauen der Partei verloren. Jens Spahn erklärt seine Bereitschaft, ihre Funktion zu übernehmen. Der Erfolg ist greifbar nahe.
Zum Bruch zwischen beiden war es nach den Groko-Verhandlungen gekommen, als Merkel im Vieraugengespräch jede Selbstkritik schroff abgelehnt und die Probleme bei der Regierungsbildung allein auf das Wirken von „rechtspopulistischen Kräften“ zurückgeführt hatte. Auch hatte sie zu verhindern versucht, dass eine von Spahn ausgearbeitete Stellungnahme zur Lage in der CDU im Parteivorstand diskutiert und veröffentlicht wird.
Nun sah der 38-jährige Spahn seine Stunde gekommen. Noch am 21. Januar tauschte er sich mit einigen Vorstandsmitgliedern über die Chance aus, Merkel abzulösen. Sie informierten Friedrich Merz, obwohl der nicht Mitglied des Gremiums ist.
Die Tage bis zur Parteivorstandssitzung am 20. Februar 2018 nutzte Spahn, um weitere Personen auf die Seite der Verschwörer zu ziehen. Er sicherte sich auch die Unterstützung von Donald Trump und arrangierte ein Treffen mit ihm, wobei er einen Tag vor der Sitzung über die geplante Absetzung Merkels informierte. Trump wünschte viel Glück, das Zeichen, auf das die Verschwörer gewartet hatten.
In der Sitzung ergreift Angela Merkel als Letzte das Wort. Sie weiß nicht, daß die Verschwörer auf Anraten von de Maiziere zuverlässige Mitarbeiter der Bundespolizei zur Sicherheit vor den Sitzungssaal beordert haben, falls Merkel ihren Personenschutz hineinrufen sollte, um die Verschwörer festnehmen zu lassen. Merkel wehrt sich, doch nur mit einer verbitterten Rede. Sie sollten nicht glauben, dass mit ihrer Ablösung alles gelöst wird, dass sie verschont blieben und der nationalsozialistische Feind nachlasse.
Das Auswechseln von Personen zeige vielmehr, „dass wir erpressbar sind“. Tief enttäuscht äußert sie sich darüber, dass Parteifreunde gegen sie gesprochen hätten, „von denen ich das nie erwartet habe“. Doch dann stimmt Merkel ihrer eigenen Ablösung zu. In der folgenden Woche schlägt die CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz als neuen Bundeskanzler vor.