Neulich sprachen wir vom geheimnisvollen Multiorgan unseres Körpers, den Faszien als Bindegewebe-Netzwerk, den letzten weißen Flecken im Anatomie-Atlas. Heute wollen wir von der Landkarte der weiblichen Lüste, den Lustpunkten des weiblichen Körpers sprechen, vor allem aber von der weiblichen Ejakulation (Pornofachwort: Squirting). Die könnte man bis heute zu den kaum geklärten anatomische Phänomene rechnen.
Ein „Ritt“ durch die Sex-Geschichte
Erstaunlich, im alten Griechenland galt die Knabenliebe, die Päderastie als gelebtes Kulturgut. O tempora, o mores! Die Frauenwelt lag wohl in jener Zeit eher im Abseits der Begierde. Und doch nahm sich der Naturphilosoph Aristoteles einiger un-knabenhafter, biologischer Phänomene an. Nicht nur dem sprichwörtlich gewordenen „springenden Punkt“ (punctum saliens), also den roten Fleck im befruchteten Hühnerei entdeckte er, und damit die Herzanlage des Embryos. Dann berichtete der Naturphilosoph um 300 v.d.Z. von einem merkwürdigen flüssigen Sekret ‒ als beglückende Zutat beim weiblichen Orgasmus. In den folgenden Jahrhunderten wurde diese aristotelische Beobachtung verunstaltet weitergereicht.
Im zweiten Jahrhundert sprach man von einer Art weiblichen Prostata, aus der auch Frauen „Samen“ ejakulieren könnten. Übrigens, ein gar nicht so falscher Vergleich. Wir wollen hier aber nicht alle anatomischen Fehlinterpretationen der folgenden Zeit durch-deklinieren, schließlich gibt es selbst bis heute keine genauen Kenntnisse über die tieferen Zusammenhänge des „schwallartigen Ergusses“ während der weiblichen Erregung. Das Unwissen darüber ist immer noch verbreitet ‒ selbst unter Frauenärzten.
Da gibt es noch einen Mythos, denn auch zum Thema Jungfernhäutchen kursieren reichlich Irrtümer. Viele glauben das Hymen, also das Jungfernhäutchen verschlösse den Scheideneingang komplett. In der Tat umgibt es jedoch die Vaginalöffnung wie eine Art elastischer Saum.
Würde diese Schleimhaut komplett die Vagina verschließen, könnte ja kein Monatsblut heraustreten. Nicht zwangsläufig reißt das Hymen bei der ersten geschlechtlichen Inbetriebnahme blutend ein. Es ist nämlich äußerst elastisch.
Die para-urethralen Drüsen: die weibliche Prostata
Lange Zeit war die weibliche ekstatische Lustreaktion ein medizinisches und gesellschaftliches Tabu. Erst im Zuge der Frauenbewegung in den 1970er Jahren griff man das Thema erneut auf. Viele Berufene und Unberufene fingern seitdem herum, um den sexuellen Mythos zu entlarven. Erstaunlich: Bis heute weiß die Forschung wenig über die genaue Zusammensetzung des weiblichen Ejakulats, über die anatomischen und physiologischen Entstehungsorte und über die Vorgänge, die diese auslösen. Wahrscheinlich wird die Flüssigkeit in den para-urethralen Drüsen gebildet ‐ diese liegen um (para) die Harnröhre (Urethra). Die „weibliche Prostata“ bildet eine schwammartige Gewebestruktur; sie umschließt die Harnröhre (Urethra), ähnlich wie die männliche Vorsteherdrüse.
Steigt das Lustgefühl einer Frau, schwillt dieses Drüsengewebe stark an und lässt sich gut ertasten. Dieser fühlbare Bereich ist eher bekannt als der ominöse G-Punkt. Das Sekret führt von den etwa 40 para-urethralen Drüsen aus in die Harnröhre und in zwei weitere Kanäle, die links und rechts vom Harnausgang münden. Der schottische Gynäkologe Alexander Skene entdeckte sie 1880, deswegen heißen sie auch Skenesche Drüsen. Eine weitere Sekret-Zutat kommt wahrscheinlich aus den so genannten Bartholin-Drüsen; sie sorgen zudem für genügend Feuchte im Scheidenvorhof während des „Betriebs“.
Eine G-Punkt-freundliche Position ‐ aber Vorsicht
Beim Liebesakt gibt es bevorzugte Stellungen, die das vaginale Lustzentrum, den G-Punkt stärker stimulieren; das „G“ steht für den Entdecker, den Gynäkologen Gräfenberg. Vor allem die Reiterstellung, bei der die Frau oben auf dem liegenden Partner sitzt, ist gemeint.
Nicht nur Urologen fanden heraus, dass dieser Reitersitz die gefährlichste Position beim Sex ist. Warum? Nun, dabei entstehen 50% aller schmerzhaften Penis-Rupturen, also „Kannen-Brüche“. Für den Mann besteht dabei also die Gefahr, dass er sich einen schmerzhaften Penisbruch zulegt. Das Glied ist ja kein Liebesknochen. Es kommt zwar nicht zu einem echten Bruch, aber die Schwellkörper im Penis reißen ein. Die Folge: ein sehr schmerzhafter Bluterguss mit Schwellung, unbehandelte Spätfolge: Krummsäbel. Also aufgepasst, wenn das gute alte „Steiftier“ ruckartig heftig abgeknickt wird. Speziell in der Reiterstellung drückt das Gewicht der Frau auf den Penis und erhöht so den Druck auf die Schwellkörper.
Sexuelle Stimulanzzentren
Nicht nur die G-Region in den Grüften der Vagina, etwa 4 cm hinter dem Scheideneingang, ist eine hocherogene Zone, auch die Klitoris, genauer die Klitoriseichel am oberen Ende der inneren Schamlippen, ist eine hochsensible Zone. Allein dieses Gebiet umfasst bis zu 8000 Nerven und Sinneszellen, die besonders auf Berührungsreize und Vibration ansprechen. Es scheint, dass die Natur das weibliche Geschlecht mit einem sexuellen Multitastingsystem bedacht hat. Gegenüber der Stimulation der leicht zugänglichen Klitoris, verläuft eine händische „Spritztour“ ins Reich der tieferen Vulva zur Erregung des G-Punkts besonders erfolgreich, wenn feinmotorisches Geschick mitspielt. In Analogie zur weiblichen, ist selbst die männliche Prostata sexuell reizbar – nur das ist weniger bekannt, denn dazu muss ein gekrümmter Finger den Anus (lat. Ring) aufsuchen und Druck ausüben. Überhaupt, in beiden Fällen verspricht der Druck in Richtung Bauchdecke (Finger in Komm-Her-Stellung) die größte Stimulation, indes weniger die klassische Hin und Her-Bewegung.
Der Liebesmuskel
Nicht zuletzt spielt ein spezieller Muskel, der Pubococcygeus bei der weiblichen Ejakulation eine spritzverstärkende Rolle. Er ist Teil einer großen Muskelplatte im Becken und individuell mehr oder weniger stark ausgeprägt. Einige seiner Fasern reichen in die Wand der Vagina. Beim Orgasmus zieht sich der Muskel pulsierend zusammen. Viele Frauen spannen unbewusst oder bewusst ihre Beckenbodenmuskulatur an. Diese kann das Erregungsgefühl enorm erhöhen. Nicht umsonst wird der Beckenboden als Liebesmuskel bezeichnet. Übrigens, auch beim Husten tritt er in Aktion.
Harn oder Ejakulat?
Hartnäckig hält sich bis heute das Gerücht, dass die weibliche Ejakulation bloß eine Urinabgabe sei. Bis weit ins späte 20. Jahrhundert hinein erklärte man die weibliche Ejakulation mit einem spontanen Urinabgang. Dieser entstünde während des Orgasmus als Folge eines Kontrollverlustes über den Blasenschließmuskel. Spritzfreudige Frauen wurden sogar mit dem Verdacht auf Inkontinenz behandelt. Viele Betroffene schämen sich für ihren „Freudenfluss“ und versuchen womöglich, ihre sexuelle Lust zu unterdrücken, um den Erguss zu verhindern. Das Schwellgewebe der G-Region liegt, wie gesagt, rund um die Harnröhre, deswegen bekommt manche Frau bei sexueller Erregung das Gefühl von Harndrang.
Aber Gemach, Gemach, denn weder Mann noch Frau können gleichzeitig ejakulieren und urinieren! Weil viele Frauen nicht wissen, dass auch sie in der Lage sind beim sexuellen Höhepunkt ein Lust-Sekret hervorzubringen, schämen sie sich womöglich. Das führt dazu, dass sie sich beim nächsten Mal ‒ aus Angst vor vermeintlicher Peinlichkeit – ihrer Lust nicht ungehemmt hingeben. Das Wissen aber um die Ejakulation erspart dann sicher manchen Schneidergang zum Urologen. Auch beim unkundigen männlichen Partner kann so eine unerwartete Lustfontäne – es können auch gern mehrere sein – schon einmal Irritationen und Schrecken auslösen.
Biochemie des weiblichen Ejakulats
Vorweg gesagt, es ist kein Urin! Vielmehr ähnelt das Lustsekret optisch einer wässrigen Milchlösung und jener, das die männliche Vorsteherdrüse produziert, natürlich ohne Spermienanteil. Die Forscher fahndeten dabei nach einem bestimmten Eiweißmolekül, dessen besondere Konzentration die Samenflüssigkeit vom Urin unterscheidet. Und genau diese saure Prostata-Posphatase, die sogenannte PAP-Konzentration fanden sie im Lustsekret. Einige Forscher orteten selbst geringe Mengen Urin in den Proben. Dabei handelt es sich eher um Restharn aus der verschlungenen Harnröhre, der mit dem Sekret ausgestoßen wird.
Das weibliche Ejakulat enthält auch Glukose, also Zucker. Fließt es in die Scheide, nutzen die Spermien auf ihrem Weg zur Eizelle den Zuckeranteil als Wegzehrung zur Energiegewinnung. Darüber hinaus bilden die Skene-Drüsen aktive Stoffe wie die Hormone Serotonin und Östrogen, die in den Blutkreislauf gelangen. Ob und wie sich diese Spritzgaben auf den Körper auswirken, ist noch unklar.
Spritzintensität
Wenn eine Frau beim Sex oder Fingern kleine Springbrunnen produziert, ist das weder ein Kunststück noch eine sexuelle Kür, sondern eine natürliche Reaktion. Es kann tropfenweise heraus pulsieren: ein Bettwäsche-schonender Höhepunkt; es kann herauslaufen, aber auch sehr hoch spritzen. Manchmal kommt sogar so viel, dass sich damit einige Eierlikörgläser füllen ließen, und das mit einer „Schussweite“ von über 60 cm.
Unterschiedliche Erguss-Statistiken
Schon aus physiologischen Gründen ist es schwierig, den Anteil der Ejakulat-freudigen Frauen sicher zu erforschen: Manche Frauen kommen bei Lust kaum zu einem Feuchtbiotop in der Vagina, bei anderen funktioniert das prächtig. Diese können dann zwischen dem normalen Scheidensaft und einem Erguss gar nicht mehr unterscheiden. Während sich eine amerikanische Studie zum Squirting allein auf den G-Punkt als Hotspot der weiblichen Lust als Auslöser der Ejakulation versteift, sieht eine Studie der 90er Jahre der Medizinerin Sabine zur Nieden das etwas differenzierter: Nur 11% der Frauen gaben an, auf diese Weise zur Ejakulation zu kommen, 42% favorisierten die Stimulation der Klitoris. Und wenige, nämlich nur 4%, meinten, sie allein durch die Kraft ihrer Vorstellungen und Gedanken ausgelöst zu haben. Zur Zeit bekennen sich angeblich 54% der Frauen zur G-Punkt-Stimulation.
Die Qualität des Rausches
Gewiss, das Lustempfinden ist ein komplexes Geschehen. Entscheidend ist die Psyche. Manche Frauen beschreiben ihren Orgasmus mit dem „spritzigen Sahnehäubchen“ als intensiver, andere meinen, er habe einfach eine andere Qualität. Einig ist sich die Damenwelt darüber, dass der Grad ihrer sexuellen Erregung ausschlaggebend dafür war, ob sie eine Ejakulation hatten oder nicht. Die weibliche Ejakulation ist nicht auf Biegen oder Brechen höchstes Ziel sexueller Befriedigung, vielmehr ist sie eingebettet in einer sexuellen Genussfähigkeit, denn sie kann das sexuelle Lustempfinden bereichern. Die Menge des Lustsekrets kann von Frau zu Frau erheblich variieren: Während einige nur wenige Tropfen ausstoßen, berichten andere von wahren Flüssigkeitsergüssen. Dennoch ist das Phänomen nach wie vor in Fachkreisen umstritten und wenig untersucht.
US-Populär-Sexologen „entdeckten“ ein neues Lustzentrum
Vorab gesagt, diesen so genannten U-Punkt gibt es nicht. Unterlassen Sie das vergebliche Fummeln nach der Suche. Die „US-Orgasmologen“ führen sich selbst durch ihre obskuren „Experimente“ ad absurdum. So errechneten die Sex-Wonneproppen angeblich den optimalen Penis-Kolbenhub beim Koitus. Der soll bei 4 cm liegen; die minimale Reizzeit bis zum Beginn der Vaginal-Lubrikation (lat. lubricare schlüpfrig machen) bei sexueller Erregung: 17 Sekunden, schließlich die maximale Orgasmusfrequenz mit 8 pro Minute. Das alles ist schierer Unfug. Die Qualität einer sexuellen Extase drückt sich auch nicht durch die Höhe des Schallpegel der Lustschreie aus, ebenso wenig ist die Geschwindigkeit (17 km/h) mit der ein Lustschwall die Vagina verlässt, ein Ausdruck der Orgasmusgüte. Im XXL-Ami-Land der Unmöglichkeiten glauben diese Orgasmologen zu wissen, dass sich eine sexuell erfahrene Frau erst mit einer Penis-Länge von 17 cm und 4,5 cm Dicke zufrieden gibt.
Das wichtigste Lustzentrum
Trotz aller praktischen Hilfsmittel und Hotspots der Lust bleibt eine wichtige erogene Zone dominant. Sie liegt nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren: das Gehirn. Es bedarf keiner Berührung. Schon ein gehauchtes Wort kann größte Erregung auslösen, ebenso Bilder oder geschriebene Worte lassen die erotische Fantasie entflammen. Meist sucht „Man“ den Verstand vergebens – der ist womöglich beim Spritzduell in tiefere Körperregionen gerutscht und feiert dort seine glorreiche Auferstehung.
© Hans-Jörg Müllenmeister