Jährlich produzieren die Konzerne (weltgrößter Hersteller ist China) allein 60 000 Tonnen Ascorbinsäure. Das ist eher ein Kunst-Torso des Vitamins C; nicht einmal was für die Katz, denn Stubentiger bilden in der Leber selbst genügend natürliches Vitamin C aus Glucose. Wir dagegen vermögen das nicht, nicht einmal eine winzige Menge. All diese vertrackten Vitamin-Krücken können den natürlichen Vitaminen nicht das Wasser reichen: diese sind virtuose Solisten, umgeben von einem großartigen Orchester aus tausend anderen Feinstoffen. Uns interessiert hier, ob die Künstlinge Nutzen oder Schaden bei uns anrichten. Woraus stellt man die Artefakte eigentlich her, welche Unterschiede gibt es zwischen Natur und Synthese, welche Stoffe begleiten die Missgeburten aus der Retorte und was ist beim Kauf von Vitaminen zu beachten.
Vitamine: natürlich versus künstlich – ins „Bild“ gerückt
Leonardo da Vinci zauberte das mystisch-feine Lächeln der Mona Lisa in perfektionierter Sfumato-Maltechnik (ital. sfumato verraucht oder verschwommen) aufs Bild. Dabei erreichte er die durchschimmernde Farbtönung, indem er dutzende mit Weiß vermengte dünne Farblasuren Schicht für Schicht übereinander brachte. Dazwischen lagen Monate der Trocknungszeit. Im übertragenen Sinn nimmt sich auch die Natur Zeit und sie nutzt oft tausende von Feinstoffen, die ein Vitamin einbetten. Sie baut keine nackten Einzelvitamine, denn das hieße analog zur so genannten Alla-Prima-Ölmaltechnik: direkt und deckend mit nur einem einzigen Farbauftrag arbeitend. Kunst-Vitamine sind eben mitnichten eine perfekte Mona Lisa!
Worin besteht die Vitamin-Leistung?
Seltsam, Vitamine sind weder Energiespender noch Bausteine für unseren Körper. Und doch, sie sind nützliche Stoffe, die Stoffwechselreaktionen auslösen und antreiben ohne selbst darin einzugehen, vor allem bei der Verdauung. Im Darm werden die Nahrungsbestandteile auf ihre Nützlichkeit geprüft. Ein Enzymsystem entscheidet über die kontrollierte Aufnahme der benötigten Vitamine. Weil natürliche Vitamine in einer Nährstoffstruktur stecken, werden sie wohldosiert ins Blut geleitet. Die Vitamine wirken wie Katalysatoren, eine Art Schutzpolizei; sie macht „freie Radikale“ dingfest. Gemeint sind Bakterien und Viren oder aggressive Sauerstoffverbindungen im Magen- Darmtrakt, die Zellwände angreifen und beschädigen.
Was so ein Katalysator bewirkt, können Sie durch ein kleines Party-Experiment vorführen. Nehmen Sie ein Stück Würfelzucker. Wenn Sie ein brennendes Streichholz dranhalten, schmilzt höchstens der Zucker. Tauchen Sie aber zuvor das Zuckerstück an einer Ecke in Zigarettenasche, brennt der Zucker mit ruhiger Flamme weg. Die Asche wirkt also als Katalysator.
Begleiter (Adjuvanten) und Pfuschbau der Vitamine
Natürliche Vitamine sind von einem Nährstoff-Ensemble begleitet. Bei den Vitaminträgern Obst und Gemüse sind das in erster Linie Sekundäre Pflanzenstoffe (Flavonoide), einem nützlichen Wirkstoffgemisch. Der synthetische Nachbau natürlicher Vitamine führt biochemisch oft zu grotesken Formverbiegungen durch zusätzlichen oder falschen Element-Einbau im Molekül. Die Abfolge der Elemente kann anders verknüpft sein und auch ihre räumliche Orientierung. Synthetische Vitamine kopieren als Machwerk nur unvollkommen einen der vielen nützlichen Nährstoffe. Ihnen fehlen zudem die natürlichen Mitstreiter, die wohldosiert behilflich sind bei der optimalen Verwertung im Organismus.
Dagegen sind Retorten-Vitamine oft mit schädlichen Produkt-Helfershelfern aufgemotzt, die das Präparat aufhübschen sollen – verschämt deklariert mit einer E-Nummer auf der Verpackung.
Da wäre der künstliche Süssstoff E 951, also Aspartam zu nennen (s. Beitrag „Aspartam – der bittersüße Tod“). Er brilliert mit seiner gesundheitsschädlichen Nebenwirkung. Unter der E 321-Nummer versteckt sich Butylhydroxytoluol. E 321 wird als Antioxidans eingesetzt, um das Kunstprodukt vor chemischen Veränderungen durch Sauerstoff zu schützen. Es kann allergische Reaktionen hervorrufen und ist sogar von der Internationalen Agentur für Krebsforschung als krebserregend eingestuft.
Manche Listen der Inhaltsstoffe enthalten zudem schwammige Bezeichnungen wie „Aromen“. Dahinter können sich sowohl natürliche als auch künstliche Geschmacksverstärker verstecken. Künstliche Geschmacksverstärker wie Mononatrium-Glutamat sind gesundheitlich sehr umstritten. Schließlich setzt man Parabene (E 214 bis E 219) häufig als Konservierungsmittel ein. Auch diese können allergische Reaktionen hervorrufen; zudem stehen sie im Verdacht, eine Verbindung zu Brustkrebs zu haben und scheinen den Hormonhaushalt zu beeinflussen.
Kleines Vitamin-Potpourri
Wir wollen weiter unten nicht alle Vitamine – natürlich oder synthetisch – in ihrem Für und Wider durch-deklinieren, sondern beispielhaft nur einige wichtige Vitamine herausgreifen. Aus natürlichen Stoffen gewinnt man Vitamin E aus Weizenkeimen oder Vitamin C aus der Acerolakirsche, Vitamin B6 (Pyridin) aus Hefe, während man es synthetisch aus petrochemischen Grundstoffen produziert. Vitamin B3 (Niacin) ist in vielen tierischen und pflanzlichen Produkten Zuhause, selbst unser Körper kann Niacin herstellen. Synthetisch wird B3 aus Nikotin mit Salpetersäure erzeugt. Aber auch genmanipulierten Heubazillus (Bazillus subtilis) setzt man zur biotechnischen Gewinnung von Vitamin B2 (Riboflavin) ein. Und für die Herstellung von Vitamin B12 (Cyanocobalamin) nutzt man vielfach Biostoffe aus Tierkadavern.
Das Königsvitamin C
Vielen ist das nicht bekannt, aber da gibt es in tropischen Waldgebieten des nordwestlichen Australiens die Frucht eines Flügelsamengewächses mit der weltweit höchsten Konzentration an Vitamin C. Gemeint ist die Buschpflaume (Terminalia ferdinandiana), auch Kakadu plum genannt oder Murunga, wie die Aborigines sie heißen. Warum gibt es diese Vitaminbombe bei uns nicht wie die Kiwi zu kaufen? Der Vitamin C-Gehalt liegt mit 2300 bis 3150 mg in 100 g Fruchtfleisch etwa 50-mal höher als bei Orangen (entspr. 10 kg Orangen!). Dagegen ist selbst die uns bekannte Acerolakirsche mit etwa 1500 mg Vitamin C-magersüchtig.
Der hohle Vitamin C-Zwilling
Das synthetische Pendant zum natürlichen Vitamin C ist die Ascorbinsäure; es ist nur die äussere Gestalt des vollständigen Vitamin-C-Komplexes, synthetisch hergestellt aus Glukose mit Oxydationsmitteln und Aceton. Da die komplexe Entstehung des natürlichen Vitamins mit seinen zahlreichen Endprodukten der zuvor durchlaufenen Vor-, Zwischen- und Abbaustufen nicht vorhanden ist, wird deutlich, dass die Wirkung der nackten Ascorbinsäure mit der des kompletten Vitamins keinesfalls identisch ist.
Der Körper profitiert aber nur dann optimal von den gesundheitlichen Vorzügen des Vitamin C, wenn es im kompletten, natürlichen Verbund vorliegt. Darin enthalten sind auch jene pflanzlichen Enzyme, Vitalstoffe und Bioflavonoide, die seine Bioverfügbarkeit erhöhen, seine antioxidative Eigenschaft optimieren, seine Wirkdauer steigern und die Verträglichkeit verbessern. Generell entfalten Nähr- und Vitalstoffe im Körper ihre biologische Wirkung immer im Verbund mit und in Abhängigkeit von anderen Nähr- und Vitalstoffen. Isolierte im Labor synthetisch hergestellte Substanzen können daher unmöglich eine vergleichbare Wirkung erzielen.
Synthetisches Vitamin C gefährdet die Herzgesundheit
Da gab es 2004 eine Studie der Uni von Minnesota. Es nahmen 1900 ältere Diabetiker-innen über einen Zeitraum von 15 Jahren teil. Man konnte nachweisen, dass sich durch Einnahme von hochdosiertem, synthetischem Vitamin C ihr Risiko einem Herzinfarkt zu erliegen, nahezu verdoppelte. 280 Proband-innen erlagen im Verlaufe dieser Studie einem Herztod.
Beim Kauf von Vitamin C sollte man erst einen genauen Blick auf die Inhaltsstoffe werfen. Wie hoch ist die Dosierung? Handelt es sich um reinrassige Ascorbinsäure aus dem Labor oder stammt das Vitamin C aus einem Naturprodukt? Enthält das Präparat pflanzliche Zusätze, die seine Bioverfügbarkeit steigern. Oder ist in einem hoch-dosierten Produkt die Ascorbinsäure in einer gepufferten Verbindung enthalten, z.B. als Magnesium- oder Calciumascorbat oder wurde eine so genannte Retardform gewählt, die das Vitamin verlangsamt freigesetzt.
Beispiel Beta-Carotin
Gerade Beta-Carotin – eine Vorstufe von Vitamin A (Retinol) – verdeutlicht, dass die Natur ein fein ausgeklügeltes System hat. Das kann man nicht gefahrlos durch Gentechnologie, einige Mikroben und Kadaverreste imitieren. Wie könnte sonst eine so geringe Menge an Beta-Carotin – wie in einer Finnischen Raucherstudie eingesetzt – derart verheerende Folgen haben? Statt vor weiteren Tumoren zu schützen, erhöhte synthetisch gewonnenes Beta-Carotin das Lungenkrebsrisiko um 18%.
Einblicke in die Vitamin B-Patchwork-Großfamilie
Man könnte den Eindruck gewinnen, der Vitamin B-Komplex hätte Familien-Ähnlichkeiten untereinander, doch mit „Nichten und Neffen“. Es ist ein willkürlicher Haufen von 1 bis x aus chemisch und pharmakologisch völlig verschiedenen Substanzen. Außerfamiliär gibt es zwar ein „Vitamin B“, eine scherzhaft gemeinte menschliche Nutz-Beziehung.
Wir greifen mal das komplexe niedermolekulare Vitamin B12 heraus. Im Zentrum des Moleküls sitzt ein Cobalt-Ion. B12 findet sich besonders in Fleischprodukten, etwa in Leber, offensichtlich nicht in Pflanzenprodukten. Zwar wird Vitamin B12 im Dickdarm durch die Darmflora synthetisiert, indes an der falschen Stelle…zu spät,… du rettest den Freund nicht mehr, es wird wertlos ausgeschieden. Da kämpfen strikte Veganer mit einem Mythos. Man empfiehlt Grünzeug-Verspeisern, sie müssten ständig Vitamin B12-Pillen einwerfen, weil sie ja keine B12-spendenden tierischen Produkte essen. Aber unsichtbares „Mikro-Kleinvieh“ macht auch (diesen) Mist! Dazu beobachten wir unter dem Mikroskop einmal die wimmelnde Pracht der Vitamin B12-produzierenden Mikroorganismen auf Ost und Gemüse – jenseits unserer Wahrnehmungsgrenze. Auf desinfiziertem Grünzeug würden allerdings diese Winzlinge „ins Gras beißen“.
B12 spielt bei uns eine wesentliche Rolle bei der DNA-Synthese, der Bildung von roten Blutkörperchen und bei Schleimhäuten, ferner bei der Myelinisierung im Nervensystem, also bei der Ausstattung (Isolierung) von Nervenfasern mit Myelin.
Das unnachahmliche Vitamin B17
Wann immer unternehmen die Pharmagötter gewaltige Anstrengungen, um die Natur zu kopieren – des Profits Willen. Der Versuch einer Vitamin B17-Synthese scheiterte kläglich und damit ein mögliches Patentrecht. Als schlechte Verlierer sagten sie fortan dem Naturprodukt Vitamin B17 den Kampf an. Zwar können die Pharmas nicht die Vitamin-Natur selbst verklagen, aber mit allen Mitteln bringen sie die bewiesene Wirksamkeit des Vitamins B17 zur Krebsbekämpfung in Misskredit. Sie wollen dafür ihre eigenen teuren Krebsprodukte in den Markt lancieren. Wie? ganz einfach: die Pharmakraken stuften das Vitamin B17 (Laetril) als eine hochtoxische Substanz ein. Bittere Mandeln adieu! Hier müssen wir kurz in die Biochemie des komplexen B17-Moleküls eintauchen. In seinem Innern sind in der Tat zwei giftige Substanzen, nämlich Benzaldehyd und Zyanid eng verbunden. Indes sind sie in dieser Form chemisch inaktiv und haben keinerlei Wirkung auf lebendes Gewebe.
Warum? Nun, ausgerechnet das von Krebszellen abgesonderte Spaltenzym Beta-Glucuronidase kann das harmlose, inaktive B17-Molekül knacken und seine Toxine freisetzen. Genial: Benachbarte gesunde Zellen sind wiederum durch ein Enzym geschützt, was die Krebszellen nicht haben. So bleiben die gesunden Zellen verschont.
Die freigesetzten Gifte attackieren die Krebszellen. Diese und nur diese werden vernichtet, denn ein Schutzenzym namens Rhodanese hat die Fähigkeit, das Gift zu neutralisieren, in dem es dieses sofort in Nebenprodukte umwandelt, die sogar nützlich und für die Gesundheit erforderlich sind. Ein genialer Schachzug der Natur! Dieses Enzym findet sich in hohen Mengen in allen Teilen des Körpers – außer in den Krebszellen.
Skepsis gegenüber Vitamin-Attrappen ist angebracht
Heutzutage sind bis zu 95% aller angebotenen Synthese-Vitamine als Nahrungsergänzung in Apotheken, Drogerien und Supermärkten zu finden. Es gibt ein überwältigendes Angebote in Form von Tabletten, Pulvern und Säften. Vergessen Sie beim Einkauf nicht Ihre Lupe. Zwar informieren die kryptischen Augenpulver-Inhaltsangaben, klären aber nicht auf. Die Pharma-Philanthropen konditionieren uns Verbraucher in unserer Kaufentscheidung. Und dafür werfen wir jährlich fast 1 Milliarde € in den Orkus. Wohl umsonst, denn große Studien mit vielen Tausend Versuchspersonen zeigen, dass Vitamintabletten und Zusätze in Lebensmitteln unsere Gesundheit nicht verbessern. Bestenfalls bleiben sie wirkungslos, schlimmstenfalls steigern sie sogar das Risiko, an Krebs oder an anderen Leiden zu erkranken.
Halten Sie sich die Vorteile der komplexen Naturprodukte vor Augen: deutlich höhere Bioverfügbarkeit, bessere Resorption (bis zu 90%), keine unkalkulierbaren Nebenwirkungen, wirkverstärkend durch Pflanzenbegleitstoffe, keine allergischen Reaktionen, gute Verträglichkeit.
Kurz gesagt: Essen Sie natürlich und keinen industriellen Pfusch aus der Retorte.
© Hans-Jörg Müllenmeister