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„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!” (1)
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Prof. Hans-Hermann Hoppe, Oliver Janich und andere „libertäre Anarchokapitalisten“ behaupten, eine wirklich libertäre Gesellschaft sei nur durch eine „anarchokapitalistische“ Konkurrenz unterschiedlicher Privatrechtsordnungen zu verwirklichen (2). Hoppes „Anarchokapitalismus“ liegt jedoch ein systematischer rechtlicher Denkfehler zugrunde. In einem solchen „Anarchokapitalismus“ kann es gerade kein bürgerlich-libertäres Eigentum und daher keinen bürgerlich-libertären Kapitalismus und damit keine bürgerlich-libertäre Gesellschaft geben.
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Das bürgerlich-libertäre Eigentumsrecht ist nach § 903 Satz 1 BGB ein Recht, das gegenüber jedermann wirkt (3). In Hoppes „Anarchokapitalismus“ kann es aber per definitionem keine Rechte geben, die gegenüber jedermann wirken könnten:
Die einheitliche Wirkung des bürgerlich-libertären Eigentumsrechtes setzt eine einheitliche, also gegenüber jedermann wirksame Privatrechtsordnung voraus. Also eine einheitliche Privatrechtsordnung wie z. B. die des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB ) der Bundesrepublik Deutschland. Der „Anarchokapitalismus“ Hoppes hingegen will jedoch gerade die einheitliche bürgerlich-libertäre Privatrechtsordnung des BGB der Bundesrepublik Deutschland durch eine Vielzahl verschiedener, nebeneinander konkurrierender Privatrechtsordnungen ersetzen.
Hoppes „Anarchokapitalismus“ entzieht damit dem bürgerlich-libertären Eigentumsrecht im Sinne von § 903 Satz 1 BGB die rechtliche Grundlage:
Das Eigentumsrecht im Sinne des § 903 Satz 1 BGB ist durch seine Nutzungs- und Ausschlußfunktion gekennzeichnet (“Der Eigentümer einer Sache kann … mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.”) Das Besondere an dieser Nutzungs- und Ausschlußfunktion ist, daß sie – im Gegensatz zu rein schuldrechtlichen Ansprüchen – gegenüber JEDERMANN gilt. Deshalb nennt man das EIGENTUMSRECHT – im Gegensatz zu den lediglich relativ wirkenden schuldrechtlichen Rechten – ein DINGLICHES RECHT.
Als dingliches Recht kann sich das Eigentumsrecht jedoch nur innerhalb ein und derselben Privatrechtsordnung verwirklichen. Außerhalb dieser Privatrechtsordnung verliert das dinglich wirkende Eigentumsrecht seine dingliche Wirkung. Insbesondere gegenüber einer anderen konkurrierenden Privatrechtsordnung.
Das Eigentumsrecht des BGB würde m.a.W. in einer Gesellschaft konkurrierender Privatrechtsordnungen nur unter den Angehörigen der BGB-Privatrechtsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, nicht jedoch gegenüber den Angehörigen etwa einer Scharia-Privatrechtsgesellschaft gelten. Umgekehrt würde das Scharia-Eigentum nicht gegenüber den Angehörigen einer BGB-Privatrechtsgesellschaft wie die in der Bundesrepublik Deutschland gelten.
Das würde jedoch bedeuten, daß das Eigentumsrecht eines BGB-Privatrechtsgesellschafters an seinem Hausgrundstück nur gegenüber den anderen BGB-Privatrechtsgesellschaftern geschützt wäre, nicht jedoch gegenüber den Angehörigen etwa einer Scharia-Privatrechtsgesellschaft.
Das Eigentumsrecht des BGB beinhaltet auch das geistige Eigentum. Das geistige Eigentum gilt jedoch nur gegenüber den Angehörigen der BGB-Privatrechtsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Gäbe es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine konkurrierende Hoppe-Privatrechtsgesellschaft, die geistiges Eigentum nicht kennt, dann wäre das geistige Eigentum gegenüber den Angehörigen dieser „anarchokapitalistischen“ Hoppe-Privatrechtsgesellschaft schutzlos gestellt.
Welche Bedeutung dieser Schutz des Eigentums gegenüber jedermann hat, läßt sich gerade an dem fehlenden Schutz des geistigen Eigentums in China erkennen. Wenn deutsche Forschungen und Entwicklungen in China keinen dinglichen Eigentums-Schutz genießen, dann kann sie in einer globalisierten Welt jedermann nutzen. Die deutschen Forscher und Entwickler hätten dann Forschungs- und Entwicklungsleistungen erbracht, für die sie keine Gegenleistung erhielten. Weder in China noch sonst irgendwo. Denn dann würde niemand den deutschen Forschern und Entwicklern ihre Leistungen vergüten, wenn sie dieses Know-how in China kostenlos nutzen könnten.
Deshalb ist der Schutz des Eigentums, insbesondere des geistigen Eigentums, gegenüber jedermann so wichtig. Wenn dagegen das Eigentum gegenüber anderen Privatrechtsgesellschaften keinen Schutz erfährt, dann läuft auch der Schutz des Eigentums innerhalb der eigenen Privatrechtsgesellschaft ins Leere.
Die Konkurrenz verschiedener Eigentumsordnungen würde damit dem bürgerlich-libertären Eigentumsrecht als solchem den Boden entziehen. Das bürgerlich-libertäre Eigentumsrecht beansprucht ja gerade seine Geltung gegenüber jedermann (s.o.). Also nicht nur gegenüber den Angehörigen der eigenen BGB-Privatrechtsgesellschaft, sondern auch und gerade gegenüber den Angehörigen etwa einer Scharia- oder Hoppe-Privatrechtsgesellschaft.
Gäbe es also in der Bundesrepublik Deutschland nebeneinander konkurrierende Privatrechtsordnungen, dann gäbe es per definitionem keine dinglich wirkenden Eigentumsrechte mehr. Hoppes „Eigentum“ wäre dann nur noch ein lediglich relativ wirkender schuldrechtlicher Anspruch. Und das auch nur innerhalb der eigenen Privatrechtsgesellschaft. Außerhalb der eigenen Privatrechtsordnung wäre dieser lediglich schuldrechtliche Anspruch völlig wertlos.
Völlig absurd wird Hoppes Anarchokapitalismus jedoch dann, wenn man sich den anarchokapitalistischsten aller Fälle anschaut:
Stellen Sie sich einmal den Fall eines Eigentümers vor, der sich – ganz im Sinne des Anarchokapitalismus Hoppes – KEINER Privatrechtsgesellschaft angeschlossen hätte. Dieser anarchistische Out-Law wäre nach Hoppes Anarchokapitalismus völlig rechtlos gestellt. Gäbe es keine einheitliche Privatrechtsordnung wie der des BGB, dann wäre dieser arme Hoppe-Hippie völlig vogelfrei. Niemand bräuchte ihn und sein Eigentum zu beachten. Es gäbe ihn und sein Eigentum schlichtweg nicht!
Spätestens an dieser Stelle sollte Ihnen, liebe Leserin und Leser, eines klargeworden sein:
Mit dem bürgerlich-libertären Eigentumsverständnis im Sinne von § 903 BGB hat Hoppes Anarchokapitalismus nichts mehr zu tun!
An dieser Stelle sollte Ihnen allerdings auch noch etwas anderes deutlich geworden sein:
Hoppes Begriff des „Anarchokapitalismus“ stellt einen Widerspruch in sich selbst dar!
Da Hoppes „Anarchokapitalismus“ dem bürgerlich-libertären Eigentumsrecht im Sinne § 903 BGB den rechtlichen Boden einer einheitlichen Privatrechtsordnung entzieht (s.o.), kann Hoppes „Anarchokapitalismus“ auch denklogisch kein bürgerlich-libertärer Kapitalismus sein. Das bürgerlich-libertäre Eigentumsrecht im Sinne von § 903 BGB bildet überhaupt erst die Grundlage für eine einen bürgerlich-libertären Kapitalismus. Wer jedoch – wie Hoppe – dem bürgerlich-libertären Eigentumsrecht im Sinne von § 903 BGB die rechtliche Grundlage entzieht, der entzieht damit auch dem bürgerlich-libertären Kapitalismus die Existenzgrundlage.
Hoppes „Anarchokapitalismus“ ist damit per definitionem mit Rechtsgleichheit und Eigentumsschutz unvereinbar:
Eigentumsschutz im Sinne von § 903 BGB ist nur bei Rechtsgleichheit erreichbar. Eine Rechtsgleichheit erfordert dann aber zwingend auch eine einheitliche Privatrechtsordnung. Unter konkurrierenden Privatrechtsordnungen kann es per definitionem eine Rechtsgleichheit nicht geben (s.o.)! Und schon gar keine Rechtssicherheit! Insbesondere nicht für unseren anarchistischen Out-Law (s.o.). Gerade dieser anarchistische Hoppe-Hippie benötigt daher – so paradox es auch klingt – den Schutz einer einheitlichen, für alle VERBINDLICHEN Privatrechtsordnung wie der des Bürgerlichen Gesetzbuches dieser Bundesrepublik. Und damit gerade den Schutz eines bürgerlich-libertären Minimalstaats.
Deshalb sind Hoppes „Anarchokapitalismus“ einerseits und der bürgerlich-libertäre Kapitalismus andererseits unüberbrückbare Antagonismen.
Indem Hoppes „Anarchokapitalismus“ dem bürgerlich-libertären Eigentumsrecht den Rechts-Boden entzieht, ist er in Wahrheit auf die Abschaffung des bürgerlich-libertären Eigentums gerichtet. Im Ergebnis bedeutet Hoppes „Anarchokapitalismus“ damit nichts anderes als die Rechtlosigkeit der Bürger. Und damit Anarchie und Bürgerkrieg.
An dieser Stelle gäbe es noch eine ganze Reihe weitere rechtliche und praktische Gründe, die einem Nebeneinander verschiedener unterschiedlicher Privatrechtsordnungen entgegen stehen. Die rechtliche und praktische Unmöglichkeit eines bürgerlich-libertären Eigentumsrechts scheint mir jedoch der wesentlichste Einwand gegen Hoppes „Anarchokapitalismus“ zu sein. Daher möchte ich es an dieser Stelle damit bewenden lassen.
Was will Hoppes „Anarchokapitalismus“ wirklich?
Hoppes „Anarchokapitalismus“ ist damit in Wahrheit auf die Auflösung der bürgerlichen Privatrechtsordnung des BGB und damit auf die Auflösung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Und damit gegen jedwede bürgerlich-libertäre Gesellschaft überhaupt.
Genau dasselbe Ziel verfolgen die Marxisten ebenfalls:
Während sich Hoppes „Anarchokapitalismus“ sich zum Ziel gesetzt hat, jedweden „Etatismus“, also sowohl den bürgerlich-libertären Kapitalismus wie den sozialistischen Staatskapitalismus zu bekämpfen, will Marx Sozialismus sowohl den bürgerlich-libertären Kapitalismus wie Hoppes „Anarchokapitalismus“ bekämpfen. Im Ergebnis wollen also beide – Hoppes „Anarchokapitalismus“ genauso wie Marx Sozialismus gleichermaßen – dasselbe:
Die Zerstörung des bürgerlich-libertären Kapitalismus und damit der bürgerlich-libertären Gesellschaftsordnung.
Wenn sich Hoppe also diese kommunistische Zielsetzung zu eigen macht, dann offenbart er sich und die „Anarchokapitalisten“ damit ebenfalls als Feinde einer bürgerlich-libertären Gesellschaft.
Der weder libertäre noch kapitalistische „Anarchokapitalismus“ ist damit in Wahrheit nichts anders als ein Trojanisches Pferd der Feinde der bürgerlich-libertären Gesellschaft. Kurz: Ein Wolf im Schafspelz.
Schließlich zeigt Hoppes „Anarchokapitalismus“ noch etwas sehr Grundsätzliches:
Das Eis wird regelmäßig sehr sehr dünn, wenn sich Ökonomen – anarchokapitalistische wie geldsozialistische gleichermaßen – auf dem Eis des Rechts tummeln. Besonders gefährlich wird es bei sog. Wirtschafts-Historikern, Wirtschafts-Informatikern, Wirtschafts-Ingenieuren, Wirtschafts-Philosophen und Wirtschafts-Soziologen. Diesen Historikern, Informatikern, Ingenieuren, Philosophen und Soziologen fehlen meist elementare ökonomische und rechtliche Grundkenntnisse. Sie wissen daher nicht, was sie tun! Im Volkmund heißt es deshalb ja nicht ohne Grund: Schuster, bleib bei Deinen Leisten!
Hätten sich diese Ökonomen wenigstens noch einmal die Mühe gemacht und sich ihre Anfängervorlesung “Einführung in das Privatrecht” noch einmal angeschaut, dann blieben ihnen selbst und uns Leserinnen und Lesern so mancher ökonomische und rechtliche Faux pas erspart.
Es bedarf daher „nicht einmal einer halbe Stunde des intensiven und vorurteilsfreien Nachdenkens” , um Hoppes Mär des angeblich ach so libertären „Anarchokapitalismus“ ad absurdum zu führen:
Hoppes „Anarchokapitalismus“ ist alles Mögliche, nur nicht libertär und kapitalistisch. Er ist weder das eine noch das andere.
In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern, libertären wie nicht-libertären, noch ein frohes Pfingstfest. Möge Sie der Heilige Geist, der höher ist wie jegliche menschliche Vernunft, in alle Wahrheit leiten!
Markus Bechtel, Pfingsten 2016
(1) Lukas 23, 34; http://www.bibel-online.net/buch/elberfelder_1905/lukas/23/#34
(2) vgl. Interview mit Hans-Hermann Hoppe: „Der Übergang vom Minimalstaatler zum Anarchokapitalisten ist nicht mehr als das Ergebnis einer halben Stunde intensiven, vorurteilsfreien Nachdenkens.“ vom 3. Februar 2016; http://www.misesde.org/?p=11912
(3) vgl. § 903 Satz 1 BGB; https://dejure.org/gesetze/BGB/903.html
© 2016 Markus Bechtel. Alle Rechte vorbehalten.
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