Das heutige „Schuldgeldsystem“ wird häufig die christlichen (Erb-)Sünde, der biblischen Vertreibung aus dem Paradies in der Genesis, zurückgeführt. Bei Lichte betrachtet ist diese verkürzte Vorstellung jedoch unzutreffend. Dieser Beitrag möchte daher die Zusammenhänge ins rechte Licht rücken.
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In einem seiner neueren Videos (https://www.youtube.com/watch?v=_-y5ixRe2H8 )bezeichnet der Münchner Mystiker Gerd-Lothar Reschke (GLR) die „christliche“ (Erb-)Sünde als die Ursache für das heutige Schuldgeldsystem. Und zeigt damit wieder einmal, wie viel (oder besser wie wenig) er vom Christentum verstanden hat.
Die (Ur-)Sünde ist ein Konzept des alttestamentarischen Mosaismus. Es stammt aus dem Buch Genesis und beruht auf der Vorstellung, daß es eine Daseinsform im Himmel bzw. im Paradies gibt, in der sich der Mensch als geistiges Wesen nicht selbst am Leben erhalten muß. In unserer dualistischen materiellen Welt zerfällt die belebte Materie dagegen unweigerlich, wenn ihr nicht Energie zugeführt wird (vgl. 2. Hauptsatz der Thermodynamik).
Beispiel: Der Mensch verdurstet, wenn er kein Wasser trinkt. Der Mensch verhungert, wenn er nichts ißt. Der Mensch erfriert, wenn er sich nicht warm anzieht.
Die Ur-Sünde ist daher bei Lichte betrachtet eine Ur-Schuld (vgl. Paul C. Martin: „Der Kapitalismus“). Es ist die Schuld des Menschen gegenüber seiner materiellen körperlichen Existenz. Die Erfüllung dieser Ur-Schuld ist also eine existentielle Notwendigkeit des menschlichen Daseins. Sie zu leugnen führt unweigerlich zum materiellen Tod des menschlichen Körpers. Wer sich dieser Realität nicht (mehr) stellen mag, der wird die Konsequenzen seiner kognitiven Dissonanz am eigenen Leibe erleben.
Das heutige „Schuldgeldsystem“ beruht daher nicht auf einer „christlichen“ (Erb-)Sünde, sondern vielmehr auf den kausalen Naturgesetzen und den sich daraus ergebenden existentiellen Notwendigkeiten.
So weit das Christentum diese naturgesetzliche Kausalität aus dem alttestamentarischen Mosaismus übernommen hat, so wenig einzigartig ist diese Vorstellung. In fast allen Kulturen und Religionen finden wir diese schuldhaftige Naturgesetzlichkeit wieder.
Sie findet sich zum Beispiel auch in dem Hinduismus und dem daraus abgeleiteten Buddhismus. In diesen suchen die Menschen nach Mitteln und Wegen, durch ein Eingehen ins „Nirvana“ (Hinduismus) oder ins „Nichts“ (Buddhismus) dem Kreislauf der Wiederverkörperung (Reinkarnation) und damit der naturgesetzlichen Schuldhaftigkeit zu entkommen. Dabei handelt es sich im Ergebnis auch um nichts anderes als die mosaische bzw. christliche Erlösungsvorstellung, den Eingang in ein materielles (Mosaismus) bzw. geistiges (Christentum) Paradies einer bedingungslosen Existenz.
Man mag mit GLR und anderen Vertretern aus der alternativen Szene diese naturgesetzlich-kausale Sichtweise der (Erb-)Schuld bzw. -Sünde noch so sehr ablehnen. Man könnte genauso gut auch kritisieren, daß die Sonne nicht 24 Stunden am Tag scheint. Das ist genauso sinnlos. Es wird einem nichts nützen.
So richtig diese naturgesetzlich-kausale Sichtweise des alttestamentarischen Mosaismus dem Grunde nach auch sein mag, so fatal sind dessen Konsequenzen aber im Verhältnis der Menschen untereinander: Ein Schuldner, der ohnehin nichts mehr hat, verliert nach der mosaistischen Weltanschauung auch seine persönliche Freiheit. Denn die Freiheit die eigene Arbeitskraft selbstbestimmt ausüben und wirtschaftlich verwerten zu können ist das letzte Wirtschaftsgut, das dem Schuldner verblieben ist. Der Mensch wird damit vom Subjekt zum Objekt seiner Gläubiger. Und verliert damit in letzter Konsequenz seine menschliche Würde: sich selbst.
Das „Vater unser“, das Jesus Christus uns Christen gelehrt hat, macht dagegen deutlich, daß das Christentum dieser – geistigen wie materiellen – Leibeigenschaft eine klare Absage erteilt hat. Im „Vater Unser“ heißt es: „Und vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben“ (Matthäus 6,12). Was er damit gemeint hat, das wird etwas später in Matthäus 11, 30 deutlich. Dort sagt er: “Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; … Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht”.
Hier liegt auch der grundlegende Unterschied zwischen dem alttestamentarischen Mosaismus und dem neutestamentarischen Christentum begründet. Der alttestamentarische Mosaismus versucht der Ur-Schuld des Einzelnen durch eine Sozialisierung der materiellen Lebensrisiken zu entgehen. Jesus Christus hat demgegenüber erkannt, daß ein mosaistischer Sozialismus dem Einzelnen nur Steine statt Brot bringt. Eine Sozialisierung der Lebensrisiken entbindet den Einzelnen ja nicht seiner Verantwortung. Er beraubt den Einzelnen jedoch seiner Individualität und Selbstverantwortung. Vor diesem Hintergrund wird auch klar und deutlich, weshalb Jesus Christus in seinen Gleichnissen NIEMALS ein Kollektiv, sondern IMMER den Einzelnen als Individuum angesprochen hat. Wenn daher mosaistische „Christen“ das Gegenteil behaupten, dann entspricht das nicht der Wahrheit.
Im Christentum geht es daher keineswegs darum, die Ur-Schuld des Menschen durch eine Sozialisierung der Lebensrisiken aufzuheben bzw. umzuverteilen. Von einer Aufhebung der Ur-Schuld des Menschen gegenüber sich selbst, wie dies auch manche „christliche“ Sozialisten uns immer vollmundig versprechen, kann daher überhaupt keine Rede sein.
Es geht bei dem „Vater unser“ vielmehr darum, daß wir uns im Verhältnis untereinander nicht unerträgliche Lasten aufbürden sollen. Es geht also darum, untereinander das rechte Maß zu behalten. Durch eine interessensgerechte Risikoabwägung gelangen wir zu einer angemessenen Belastung des Einzelnen. Diese Lasten müssen jedoch von jedem Einzelnen selbstgetragen werden. Und gerade nicht von einem sozialistischen Kollektiv durch ein bedingungsloses Grundeinkommen oder andere sozialistische Utopien.
Dies macht deutlich, daß sich die wirtschaftlichen Verbindlichkeiten der Menschen untereinander nach der christlichen Sichtweise auf die wirtschaftliche Bedeutung beschränken müssen und gerade nicht darüber hinaus gehen dürfen:
In dem von christlichen Wertvorstellungen geprägten bürgerlichen Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB ) kommt dies sehr schön zum Ausdruck. Danach gibt es nicht nur den germanischen Rechtsgrundsatz „Verträge sind einzuhalten!“ (lat. pacta sunt servanda). Es gibt auch den Rechtsgrundsatz, daß eine Leistung, die dem Schuldner unmöglich geworden ist, gerade nicht mehr verlangt werden kann (§ 275 BGB ).
Beispiel: Wenn etwa dem Bauer durch ein Unwetter die Ernte verlorengegangen ist, dann kann er eben keinen Weizen mehr liefern. Dann muß der Käufer (Gläubiger) eben zusehen, daß er den Weizen eben woanders her bekommt. Gegebenenfalls kann der Gläubiger von dem Bauern (Schuldner) dann den Mehrpreis ersetzt verlangen. Aber auch nur dann, wenn der Bauer seine Nichtleistung verschuldet hätte. Etwa weil er ein herannahendes Unwetter einfach ignoriert hatte. Keinesfalls würde dem Bauern nach den christlichen Wertvorstellungen der Hof genommen und er selbst in Leibeigenschaft genommen.
Man mag im Einzelfall darüber streiten, ob und inwieweit die Risikoverteilung des BGB im Einzelfall richtig ist. Dem Grundsatz nach entspricht das vom Christentum geprägte BGB jedoch auch den alten germanischen Wertvorstellungen. Ein alter germanischer Rechtsgrundsatz lautet: „Suche Dein Vertrauen dort, wo Du es gelassen hast!“. Nach christlicher wie germanischer Wertvorstellung trägt der Gläubiger mit anderen Worten auch das Risiko des Schuldners in gewisser Hinsicht mit. Im Gegensatz zu einem alttestamentarischen Mosaismus, dem das völlig gleichgültig ist.
Beispiel: Wer sein Geld einem Griechen anvertraut hat, der soll sich eben nicht wundern, wenn er es nicht mehr zurück bekommt. Wenn wir Deutsche also weiterhin reale Handelsbilanzüberschüsse produzieren und uns mit griechischen Versprechungen abspeisen lassen, dann ist das nicht nur für die Griechen ein Problem. Die eigentlich Dummen sind doch wir Deutschen selbst, die darauf vertraut haben, daß die Griechen irgendwann einmal ihre Schulden zurückzahlen würden.
Nach unseren eigenen – christlichen wie germanischen – Wertvorstellungen wäre also im Falle Griechenlands über eine Stundung nachzudenken. Allerdings müßten den Griechen die Konsequenzen eines Staatsbankrottes klar vor Augen geführt werden. Den Griechen müßte daher klar gemacht werden, daß sie auch nach ihren eigenen christlichen Wertvorstellungen von uns Deutschen Hilfen nur dann zu erwarten haben, wenn sie die längst überfälligen Strukturreformen in die Tat umsetzen. Dies bedeutet aber nicht, daß sie deswegen ihr Tafelsilber und alles, was ihnen heilig ist, verscherbeln müßten. Dies bedeutet vielmehr, daß sie zum Beispiel ihre Reeder endlich besteuern. Und daß sie, wie wir Deutsche auch, nunmehr erst mit 63 Jahren in Rente gehen können. Etc. pp.
Es entspricht also dem christlichen Selbstverständnis, daß wir Deutsche als Gläubiger von den griechischen Schuldnern nicht mehr Lasten aufbürden sollen, als wir selbst zu leisten bereit wären. Das christliche Schuldverständnis unterscheidet sich daher fundamental von dem Schuldverständnis des alttestamentarischen Mosaismus. Der alttestamentarische Mosaismus würde nicht davor zurückschrecken, den Griechen auch noch das letzte Hemd abzunehmen. Das christliche Schuldverständnis hat daher dem alttestamentarischen Schuldverständnis des Mosaismus die unmenschliche und lebensfeindliche Schärfe genommen. Das christliche Schuldverständnis mit dem alttestamentarischen Schuldverständnis des Mosaismus gleichzusetzen wird daher den christlichen Wertvorstellungen nicht gerecht.
Vollkommen absurd und infam wird es allerdings, wenn GLR in dem Video dem Christentum die Fähigkeit bzw. den Willen zur Selbsterkenntnis abspricht. Dabei ist das Christentum geradezu auf Selbsterkenntnis ausgerichtet. Das sieht man wohl am deutlichsten an Jesus Christus selbst: Er liebte seine Kritiker. Niemals ist er seinen Kritikern aus dem Weg gegangen. Niemals würde er seine Kritiker aus seiner Organisation oder seinen Google+- oder Facebook-Accounts ausschließen. Niemals wäre es einem Jesus Christus in den Sinn gekommen, seine Kritiker als „dumme kleine Scheißerchen“ zu bezeichnen. Denn die Kritik seiner Kritiker diente ihm nicht nur als Spiegel, in denen er sich selbst wieder erkennen konnte. Diese Kritik seiner Kritiker sagte ihm auch sehr viel über seine Kritiker selbst aus.
Beispiel: Wenn etwa ein antichristlicher GLR die „christliche“ Gesellschaft als Lügengesellschaft bezeichnet, dann ist es in erster Linie erst einmal seine eigene Lügengesellschaft. Seine „christliche“ Lügengesellschaft ist also nur eine Projektion in seinem eigenen antichristlichen Denken. Ob und inwieweit die „christliche“ Gesellschaft tatsächlich eine Lügengesellschaft ist, das ist dann eine ganz andere Frage.
Jesus Christus war insoweit zweifellos der letzte große, nach Selbsterkenntnis strebende Mystiker der Menschheitsgeschichte. Wer sich seitdem selbst auf den Weg der Mystiker gemacht hat, der wird daher schwerlich um die Person Jesus Christus herumkommen. Ein Mystiker, der wirklich nach Selbsterkenntnis strebt, der wird nämlich immer einen anderen Mystiker als solchen erkennen. Selbst wenn er keine persönliche Beziehung zu der Person Jesus Christus zu entwickeln vermag. Wer jedoch selbst in Jesus Christus keinen Meister der Selbsterkenntnis zu erkennen vermag, der wird es auch selbst auf dem Weg der Selbsterkenntnis noch nicht einmal zu einem Gesellen bringen.
Wer daher in Jesus Christus nicht den letzten großen nach Selbsterkenntnis strebenden Mystiker zu erkennen vermag, der kann schwerlich selbst ein Mystiker sein. Einfach nur die zweifelhaften „Selbsterkenntnisse“ der Psychotherapeuten Mike Hellwig, Wilhelm Reich oder Siegmund Freud nachzuplappern, hat mit einer schöpferischen Selbsterkenntnis herzlich wenig zu tun.
Wer daher auch meine Erkenntnisse im goldseitenblog als die seinigen nachplappert, der sollte wenigstens verstanden haben, wovon ich im goldseitenblog geredet habe: Auch ein sachwertgedecktes Schuldgeldsystem ist und bleibt ein Schuldgeldsystem. Weil zwischen Vertragschluß und Vertragserfüllung ausnahmslos immer ein Schuldverhältnis entsteht. Wer selbst das nicht verstanden hat, der hat damit auch die Grundprobleme von Schuld und Sünde nicht verstanden.
Mit dem rechten Verständnis haben aber auch noch viele andere in der alternativen Szene so ihre liebe Not. Mit diesem Video reiht sich GLR insoweit nahtlos in die Reihe von Rico Albrecht, Norbert Brakenwagen, Oliver Janich, Andreas Popp und Ivo Sasek ein, mit denen ich schon früher auf die eine oder andere Art entsprechende Erfahrungen gemacht habe.
Wenn dann gar kein Argument mehr zählt, dann wird einem auch noch der Verstand zum Vorwurf gemacht. Das ist dann ungefähr so, als würde ein ertrinkender Nichtschwimmer dem Rettungsschwimmer vorwerfen, daß dieser schwimmen kann. Da kann man dann wirklich nur noch beten: Oh Herr, laß endlich Deinen „Heiligen Geist“ regnen!
Die antichristlichen Äußerungen GLRs in diesem Video entbehren jedenfalls wieder einmal jeglicher Grundlage. Es wäre daher sehr schön, wenn GLR endlich seine durch NICHTS begründeten antichristlichen Scheuklappen ablegte, endlich auch einmal über seine beschränkten Tellerrand blickte und endlich auch das Christentum als das betrachtete, was es wirklich ist: Der schmale Weg der Selbsterkenntnis.
In diesem Sinne wünsche ich allen meinen Leserinnen und Lesern weiterhin ein an (Selbst-)Erkenntnis reiches Osterfest!
© 2015 Markus Bechtel. Alle Rechte vorbehalten.
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